Das Museum - Geschichte, Publikum und Zukunftsmodelle

Jens Herrmann, Andreas Paeslack und Wolfram Höhne, Katalog zur Austellung "Katzengold"

Das autonome Kunstmuseum
 
“Und hier ist es nun am Platz einmal grundsätzlich zu sagen, für wen und zu welchem Zweck Museen denn eigentlich da sind.... Das Museum ist, allem voran, um seiner selbst willen da, es ist, wie alles Geistige, in erster Linie zweckfrei, ja seine beste Kraft liegt darin, dass es inmitten einer unnatürlichen zweckvoll arbeitenden Welt, zweckfrei bleiben kann.”
(Karl Scheffler, 1921)

 
Auch heute bestimmt der Gedanke der Autonomie die Arbeit des wissenschaftlichen Personals an vielen Kunstmuseen. Getragen wird dieser problembelastete Anspruch durch weite Teile der Künstlerschaft, die angepasst und in sich selbst versunken kein schlechter Partner für die Administration ist. Hinzu kommt der spekulative Wunsch vieler Künstler, das Museum in seiner elitären Ausprägung zu erhalten, um später selbst von einer musealen Würdigung der eigenen Arbeit profitieren zu können.
Derweil sucht das so ersehnte Publikum vergebens nach den Schlüsseln, die einen Zugang ermöglichen.

 
Von der Sammlungsgeschichte zur Museumsinszenierung
 

Substantielle Grundlagenforschung zur Geschichte des Museums ist äußerst selten, als Institution taucht es meist nur ganz am Rande in der Forschungsliteratur auf. Wir stehen daher vor der Situation, dass der gegenwärtig wohl wirkungsvollste und einflussreichste Ort der Vermittlung von Kunst in seiner historischen und gegenwärtigen Entwicklung immer noch weitgehend unbekannt ist. Der Erfolg dieser Kulturinstitution, ihr ununterbrochenes Wachstum seit 200 Jahren und der aktuelle Zulauf, den sie in den letzten Jahrzehnten erhielt, kontrastieren scharf mit der Unkenntnis über ihre Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen.
Die “Sammlungsgeschichte” ist bis heute die gängige Form geblieben, in der sich Museen mit ihrer Geschichte auseinandersetzen. Der Gegenstand der Sammlungsgeschichte ist zunächst die Aufzeichnung des quantitativen und qualitativen Anwachsens der musealen Bestände im Laufe der Zeit. Sammlungsgeschichte ist höchst selektiv, sie bewertet die Erwerbungen und ordnet sie nach ihrer Bedeutung in eine Hierarchie. Durch die Strategie, nur die Herkunft der gerade als bedeutend eingeschätzten Erwerbungen zurückzuverfolgen, wird die Sammlungsgeschichte zu einer Erfolgsbilanz, die weitere Zusammenhänge nicht zu reflektieren vermag. Sie wird zu einer Aneinanderreihung von jeweils – im Moment der Bilanzierung – als herausragend beurteilten Erfolgen in der Geschichte der Erwerbungen. Eine solche Perspektive verhindert es, die Auswahlkriterien früherer Sammler zu verstehen, die zur Entstehung des musealen Bestandes beigetragen haben.
Im Falle des Kunstmuseums projizieren Kuratoren in den von ihnen bestückten Ausstellungen ihren Geschmack als einen absoluten auf alle vergangenen Generationen von musealen und vormusealen Sammlern und lassen alle abweichenden Urteile als irrelevant erscheinen. Dieses fragwürdige Prinzip wird abgesichert, indem die sogenannte Sammlungsgeschichte die historisch und soziologisch bedingte Relativität des Geschmacks ignoriert. Die traditionelle Sammlungsgeschichte bietet somit keinerlei Raum für ein wirklich zeitbezogenes Verständnis der Bestände, die es beschreiben will.
Im 20. Jahrhundert bildete sich daneben eine Betrachtungsweise heraus, die das Entstehen von Kunstsammlungen in einen historischen Zusammenhang einzuordnen versucht. Sie fand ihren Ausdruck in einer grundsätzlichen Neuorientierung der historischen Fragestellung an das Kunstmuseum. Grundlage der neuen Sichtweise ist die “Entdeckung” der bisher in der Beschäftigung mit Kunst vernachlässigten Kategorie des Publikums. Eine Sensibilität für die Bedingungen, unter denen Kunst wahrgenommen wird, zeigten zuerst einige Vertreter der künstlerischen Avantgarde des frühen 20.Jahunderts. Marcel Duchamps These, “dass ein Werk vollständig von denjenigen gemacht wird, die es betrachten oder lesen und die es, durch ihren Beifall oder sogar durch ihre Verwerfung, überdauern lassen”, bereitete den Boden für die Veränderungen in der Untersuchungsperspektive, die durch die Literaturwissenschaft zuerst theoretisch formuliert wurde. Die dort entstandene “Rezeptionstheorie” verlagert, auf das Kunstmuseum übertragen, den Gesichtspunkt weg von der traditionellen Sammlungsgeschichte mit ihrem Anspruch auf überzeitliche ästhetische Werturteile und fordert die Berücksichtigung der historischen Bedingtheit des Geschmacks. In der Praxis bedeutet dies, die Präferenzen einzelner musealer Sammler als Ausdruck ihrer ästhetischen und politischen Intentionen zu verstehen und damit die historische Distanz zu der Motivation früherer Sammler zu bewahren.
Erst unter dem Gesichtspunkt der Rezeption, der Wahrnehmung und Aneignung der Kunst durch ein Publikum, ist es möglich geworden, Bildprogramme und Gestaltungsweisen der Museumsgebäude ebenfalls als Ausdruck jener ideologischen Interessenlage zu verstehen, die den Erwerb der Exponate bestimmte. Neben die Geschichte des Geschmacks tritt damit die Untersuchung des Wahrnehmungsrahmens, in dem Kunst präsentiert werden kann. Dabei kommt der Inszenierung von Kunst im Museum eine besondere Bedeutung zu. Die Art und Weise, wie die Präsentation der Exponate dem Betrachter Wahrnehmungshilfen an die Hand gibt, macht die Museumsausstellung als Ganze in einer bestimmten Weise lesbar. Die jeweils gewählte Inszenierung vermittelt dem Museumsbesucher eine ganz bestimmte “Geschichte”, einen Zusammenhang, in den er die ausgestellten Objekte einordnen soll. Vor jeder sprachlichen Informationsübermittlung strukturiert sie die Wahrnehmung auf einer visuellen Ebene. Dieser, der Museumsaustellung zugrunde liegende “Text” existiert immer in Abhängigkeit von bestimmten Museumskonzeptionen.
Eine Institution und ihr Publikum
Ein positives Beispiel für eine unvoreingenommene Museumsarbeit ohne elitäre Limitierungen ist die National Gallery in London. Die National Gallery, gelegen am belebten Trafalgar Square, hat ihre Interesse ganz wesentlich der Nähe zum lokalen Publikum zu verdanken. Die Londoner Bürger sollen das Museum bei freiem Eintritt spontan besuchen können, um sich Zug um Zug die Kunstwerke der Gallery anzueignen. Eine weit geöffnete Studiensammlung ermöglicht den Zugang zu allen Kunstwerken des Bestandes. Die Vorstellung der Museumsmacher, was dem Publikum vorrangig zu präsentieren sei, äußert sich nicht im Verschluss des Restes im Depot.
Dem entgegen steht andernorts die weit verbreitete Ignoranz gegenüber der umfassenden Bildungsaufgabe des Museums und die Arroganz gegenüber seinen eigentlichen Besitzern, den Bürgern. In Begriffen wie “Turborundgang” oder “Touriautobahn”, die museumsintern geprägt wurden, äußert sich diese Geringschätzung des Publikums. Die Theorie und Praxis der “L’Art pour l’art” erweist sich als Abkapselungsstrategie der Avantgarde gegenüber dem als feindlich empfundenen Publikum. Das Publikum in eine museale Betrachtung einzubeziehen macht aber nur dann Sinn, wenn es nicht nur als zahlende Vergleichsmasse benutzt wird. Mit anderen Worten eine Museumsreform ist unabdingbar. Das dabei auch kleine Schritte hilfreich sein können, beweist das Konzept der Museumsnächte ,die ja ganz nüchtern betrachtet deshalb so erfolgreich sind, weil irgend jemand auf die Idee kam einfach mal die Besucherzeiten zu verlagern. Mehr noch als das visuelle und didaktische Programm inszenierter musealer Kunstausstellungen, muss es in Zukunft um eine Beteiligung des Publikums gehen, die es diesem erlaubt, sich aktiv in eine Beziehung zu den dargebotenen Wertzuschreibungen zu setzen. Anders als die bisherige Funktion des Museums als Lagerraum kultureller Werte, sollte eine zukünftige Arbeit an Museen für Gegenwartskunst den Dialog zwischen Künstlerschaft und Publikum ermöglichen und diesen aufgrund der Reflexion künstlerischer Vorschläge und der Reaktion des Publikums zu konkreten Handlungen entwickeln. Ohne die Beförderung dieses Dialogs bleiben vereinzelte Veranstaltungsformen zurück, die die Entwicklung künstlerischer Projekte im Museum genauso wenig wie die Breitenwirksamkeit des Museums selbst weiter formulieren können. Im Gegensatz zur nachträglichen Vermittlung künstlerischer Vorstöße in die Unbestimmtheit sollte das Kunstmuseum der Zukunft an der kontinuierlichen Entwicklung konkreter Themen tätig sein, die das Publikumsinteresse in einen tatsächlichen Bezug zur künstlerischen Arbeitsplanung bringt. Eine kritische Aufarbeitung gesellschaftlich relevanter Themen darf ein Publikum fordern, das über Eintrittsgelder und Steuern die Institution doppelt finanzieren muss. Für das Museum bedeutet dies die Arbeit an gesellschaftlichen Fragen, die als Arbeitauftrag formuliert, zu einem neuen Motiv künstlerischer Auseinandersetzungen werden können. Kunstmuseen sollten in Zukunft ihre gesicherten und fraglos auch berechtigten Organisationsstrukturen und Kompetenzen öffnen für frei flottierende Werte, Beiträge und Argumente.

 
Der Begriff des Besonderen in der Hoheit des Kunstmuseums
 

Jedem musealen Anliegen liegt die Absicht zugrunde, das Besondere zu erwerben, zu verwalten und zu präsentieren. Das Museum als institutioneller Ort ist der Sachverwalter des Begriffs des Besonderen. Es gründet seine Existenz darauf, das Besondere als etwas Zeitloses darzustellen, es zu konservieren. Es liegt in der Natur der Sache, das dazu die Stücke, die dem Begriff des Besonderen entsprechen, aus dem Realraum entzogen werden müssen.
Man könnte annehmen, dass die eigentliche Bedeutung des Museums darin besteht, den Begriff des Besonderen für alle Zeiten festzuschreiben. Die Tatsache des Wandels von Wertvorstellungen einerseits, und der Wunsch nach Festschreibung der Identität des Besonderen andererseits führt logisch zu einem Konflikt im Betrieb des Museums, zumal sich in einer Gemeinschaft von Spezialisten Verluste nur schwer verkraften lassen. Dieser Umstand bleibt in der Regel ungelöst bzw. wird kaschiert und vertuscht durch die Verbannung ins Depot, ins Archiv, oder im positiven Fall durch den Neuerwerb des aktuell Besonderen, in Ausnahmefällen durch Neuinterpretation.
Im Fall der Ausstellung “Katzengold” war die Konfrontation zwischen historischem und gegenwärtigem Material das gewählte Modell, um über einen Wertevergleich einen Wertestreit zu ermöglichen, der zukünftige Gesichtspunkte der Museumsarbeit aufzeigen könnte.
In der “Einhorn-Reihe” wird die Problematik durchaus angesprochen, in unserem Fall jedoch deshalb verunmöglicht, weil die Konfrontation nicht erwünscht ist. Doch nur die Konfrontation ermöglicht es durch den ins Bild gesetzten Vergleich, Werturteile zu bilden. Das Paradoxe bestand darin, dass seitens des Neuen Museums Werturteile gebildet wurden, bevor der Vergleich überhaupt lesbar war. Die im Falle der “EinhornReihe” formulierte Innovation kam in der Ausstellung “Katzengold” nicht zum tragen, um den störungsfreien Ablauf einer Sonderausstellung mit hochkarätigen Exponaten zu garantieren. Die Ausstellung “Bella Pittura” zeigte eine Sammlung von angesehenen Werken der italienischen Moderne, die einen wichtige Rolle für die Profilierung des Arbeit des “Neuen Museums” verkörperte. Ein Konflikt konnte hier nicht ausgetragen werden. Die Zensur der eigenen Museumsarbeit schien im Fall der Ausstellungen “Bella Pittura” und “Katzengold” unumgänglich.
Nur wenn es dem Museum gelingt, dem Vergleich Tür und Tor zu öffnen, wird die Wertermittlung erlebbar. Real betrachtet formuliert das Museum Stoppregeln des Vergleichs. Das Museum will nicht vergleichen, sondern würdigen. Da der ganze Vorgang indifferent verhandelt wird, ist er für ein breites Bevölkerungsinteresse nicht nachvollziehbar. Die Bevölkerung kann die ermittelten Werte des Museums nicht wertschätzen. Daraus resultieren die geringen Besucherzahlen des Museums.