Unsterblichkeit - das Museum im System der Kultur

Jens Herrmann, Wolfram Höhne, Andreas Paeslack, Beitrag für den Katalog zur Ausstellung "Katzengold"
 
Der biblische Mythos vom Sündenfall lässt Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis essen und dadurch wissend werden, wie es bisher nur Gott selbst vorbehalten war. Bevor sie jedoch auch noch von einem anderen Baum, dem des Lebens, essen konnten, werden sie aus dem Paradies vertrieben. Eine weitere göttliche Gabe, die Unsterblichkeit, blieb ihnen verwehrt.
Dieser Mythos definiert den Menschen durch ein Zuviel an Wissen und ein Zuwenig an Leben. Das Wissen, sterblich zu sein, teilen die Götter nicht, weil sie unsterblich sind, und die Tiere besitzen kein Wissen, weil sie nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen haben. Der Mensch, und nur er, verbindet das Wissen und das Sterben. Dieses Wissen jedoch schafft einen unhaltbaren Zustand. Der Mensch verließ durch sein Wissen die Grenzen der Natur und musste sich eine künstliche Welt schaffen, in der er leben kann. Er erfand die Kultur. Die Kultur entspringt dem Wissen um den Tod und die eigene Sterblichkeit. Sie stellt den Versuch dar, ein Raum-Zeit- Kontinuum zu erschaffen, in dem der Mensch über seinen begrenzten Lebenshorizont hinaus denken kann. Er ist bestrebt, die Linien seine Handelns, Erfahrens und Planens auszuziehen in weitere Horizonte und Dimensionen der Erfüllung. Erst wenn sein Sinnbedürfnis Befriedigung findet, kann das unerträgliche Bewusstsein seiner existenziellen Begrenzung und Fragmentierung zur Ruhe kommen.
Die Fantasmen der Unsterblichkeit bilden den von Illusionen umstellten Horizont, in dem allein menschliches Handeln sich als sinnvoll erfahren kann. Selbst wer den Tod für das absolute Ende von allem hält und zutiefst davon überzeugt ist, mit seinem Ende ins Nichts zu versinken, investiert doch in Handlungen, deren Folgen ihn überdauern.
Gerade der kulturell relevante Teil unseres Handelns, wie er in den Anstrengungen von Kunst, Wissenschaft, Philosophie oder Wohltätigkeit zum Ausdruck kommt, entspringt dem Unsterblichkeitstrieb, dem Trieb, die Grenzen des Ich und der Lebenszeit zu transzendieren.2
Doch was nützt all das Wissen, wenn es auf den eigenen Lebenszeitraum beschränkt bleibt? In Handlungen zu investieren, die einen überdauern, macht ja nur dann Sinn, wenn jemand sie später einmal erinnern kann. Der Sündenfall bescherte uns nicht nur das Wissen der Götter, sondern auch den Sex und damit verbunden die Fortpflanzung. Damit war die Anwesenheit des Menschen auf Erden gesichert, aber das Problem der Überlieferung von Wissen noch nicht bewältigt. Entscheidend für die Entwicklung unser Kultur war die Gedächtnisleistung und damit verbunden die Entwicklung der Sprache. Das Lernen, durch Sprache vermittelt, schuf unsere Kultur, denn kulturelles wird genetisch nicht vererbt. Kultur ist also kein Besitz, sondern muss jeden Tag neu erarbeitet werden.
Mit dem kulturellen Gedächtnis entstand ein Geschichtsbewusstsein, das die Vergangenheit und die Zukunft in unserer Gegenwart beschreibt.
Doch was soll eigentlich vermittelt werden? Welche Informationen oder Werte sind es eigentlich wert, überliefert zu werden? Ein Streit um die Werte begann.
Das Museum ist im Grunde genommen ein spät geborenes Kind dieses Wertestreits. Als kulturelle Raumschöpfung verbindet es unseren illusionären Wunsch nach Unsterblichkeit mit dem Bedürfnis, unser Wissen als Wertvorstellungen zu überliefern und zu vermitteln. Es atmet Unsterblichkeit aus.